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Nachruf auf Gerhard Hard, erschienen im Rundbrief Geographie (Heft 309)
Zum Tod von Gerhard Hard
Prof. Dr. Dr. h. c. Gerhard Hard verstarb am 31. Mai 2024 kurz vor seinem 90. Geburtstag in seinem Haus in Osnabrück, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1999 Professor für Physische Geographie war.
Gerhard Hard wuchs im saarländischen Ensdorf auf. Er studierte in Saarbrücken und in Freiburg i. Br. Geographie, Germanistik und Biologie für das höhere Lehramt, promovierte 1962 in Bonn und habilitierte sich dort 1969 mit seiner wegweisenden Arbeit über „Die ‚Landschaft‘ der Sprache und die ‚Landschaft‘ der Geographen“. Nach mehrjähriger Lehrtätigkeit an der Pädagogischen Hochschule Rheinland wurde er 1977 auf die C4-Professur für Physische Geographie an der 1974 gegründeten Universität Osnabrück berufen.
Mit seinen Beiträgen zu den wissenschafts- und raumtheoretischen Grundlagen der Geographie war Gerhard Hard zweifellos ein großer Erneuerer des Fachs. Sein „Lotsenbuch“, das er 1975 zusammen mit Dietrich Bartels veröffentlichte, wies Studierenden und Promovierenden neue Wege. Fachvertreterinnen und -vertreter, die mit der Ausrichtung der Disziplin haderten, fanden in seinen Beiträgen sowohl Anregungen als auch Grundlagen für eine Veränderung der Perspektive.
Gerhard Hards unbestritten große Wirkung beschränkt sich aber nicht auf die Kritik am traditionellen Fachverständnis und den Einsatz für eine theoretische und methodische Erneuerung. Ein großer Teil seiner zahlreichen Beiträge behandelt den vielleicht traditionsreichsten Gegenstand der Geographie: die Landschaft. Diese Texte erschienen oft in interdisziplinären Sammelbänden oder fachfremden Publikationsorganen und werden sowohl in den „angrenzenden“ als auch in „ferner liegenden“ Disziplinen als zentrale Referenzen zitiert. Hard vertrat und betonte darin immer einen „geographischen Blick“ und trug so maßgeblich zur Verbreitung und zum Ansehen der Geographie in der Wissenschaftslandschaft bei.
In seiner langjährigen Tätigkeit am Institut für Geographie der Universität Osnabrück inspirierte er Studierende und Kollegen mit seinem vegetationsgeographischen Wissen, aber auch und vor allem durch seinen interdisziplinären – „gesamtgeographischen“ – Blick auf die Beziehungen zwischen Erscheinungen in der physischen Welt und gesellschaftlichen Verhältnissen. Besondere Aufmerksamkeit erhielten bei ihm stets der „Nahraum“ und die randlichen oder „gewöhnlichen“ Dinge – wie z. B. unscheinbare Wildkräuter auf Brachflächen, anhand derer er die größeren ökologischen und sozialen Zusammenhänge erörterte und Teilnehmende in theoretische Reflexionen über die unhinterfragten Grundlagen der eigenen Betrachtung verwickelte.
Gerhard Hard war eine vielschichtige Persönlichkeit und als Wissenschaftler zweifellos eine Ausnahmeerscheinung. Die Bedeutung seiner ebenso umfangreichen wie akribischen Arbeit in und an der Geographie reicht weit über den Standort Osnabrück hinaus. Deshalb erinnern im Folgenden individuelle Beiträge von Jürgen Deiters, Alexandra Budke, Hans-Dietrich Schultz und Benno Werlen an ausgewählte Aspekte seines Schaffens und seiner Person.
Vielseitiger Forscher und herausragender Kollege
Von Jürgen Deiters (Osnabrück)
Unter den Trauernden gehöre ich vermutlich zu denjenigen, die Gerhard Hard am längsten gekannt haben. Beim Karnevalsfest der Bonner Geographischen Fachschaft 1965 lernte ich ihn als Mephisto kennen. Im Rahmen eines Geländepraktikums, in dem studentische Arbeitsgruppen ein asymmetrisches Tal aus dem Periglazial vermessen sollten, lud er mich, die Hilfskraft, dazu ein, ihn als einen der Betreuer mit dem Einsatz von Nivelliergerät und Messlatten vertraut zu machen. Ein Seminar bei ihm am Ende meines Studiums öffnete mir die Augen für die Welt der Wissenschaftstheorie in der Geographie. Eine besondere Rolle spielten dabei seine Untersuchungen zum Zusammenhang von Selbstmord, Wetter und Gesellschaft. Wie bei der Ausschlussdiagnose in der Medizin scheiterte bei ihm eine Hypothese nach der anderen am strengen Testaufbau. Als wir uns 1980 in Osnabrück wiedersahen, nunmehr als Kollegen, war das Problem immer noch nicht gelöst. Oft sprach er darüber, bis er das Projekt 1988 abschloss und veröffentlichte.
Für die Lehre hatte sich Gerhard Hard vorbehalten, neben der Physischen Geographie, für die er fachlich zuständig war, regelmäßig Veranstaltungen zur Methodologie der Geographie und zur Sozialgeographie anzubieten. Seine Kollegen der Wirtschafts- und Sozialgeographie respektierten das gern. Wer ihn gekannt hat, weiß auch, dass er – außer nach Wien – ungern reiste. Zwar standen Große Exkursionen und Studienprojekte „möglichst im Ausland“ in den Prüfungs- und Studienordnungen, doch wurde er nicht müde, die zuständigen Gremien davon zu überzeugen, dass man die dabei angestrebten Lernziele auch auf „Spurensuche“ im Osnabrücker Land erreichen kann. Im Ruhestand haben meine Frau und ich von solcher Spurensuche mit ihm oft profitiert.
Leidenschaftlicher Hochschullehrer und disziplinärer Grenzgänger
Von Alexandra Budke (Köln)
Gerhard Hard hat die didaktische Methode der „Spurensuche“ in die Geographie eingeführt und war selbst ein meisterhafter Spurenfinder und -leser, der, von Alltagsbeobachtungen ausgehend, Natur und Gesellschaftsbeziehungen interpretierte und hinterfragte. Seine Exkursionen fanden während meines Studiums u. a. auf Friedhöfen statt, wo er mit uns Studierenden nicht nur die Pflanzen bestimmte, sondern auch die kulturhistorischen Gründe für ihre Anpflanzungen besprach. Es ging ihm dabei aber nicht nur um die Interpretation des Gefundenen, sondern vor allem um die Reflexion der eigenen Denkweisen. Er liebte es, uns unsere Vorstellungen von „guter“ Natur, die geschützt werden soll, und „schlechter“ Natur im Sinne von „Unkraut“ an Beispielen wie der „Mäusegerste“ bewusst zu machen und in Frage zu stellen. Seinen Garten ließ er verwildern und für die Nachbarn, die ganz andere Vorstellungen von Gartenpflege hatten, stellte er das Schild auf: „Hier forscht die Universität Osnabrück!“
Gerhard Hard war ein Grenzgänger, der sich von den Grenzen der Vegetationsgeographie ebenso wenig im Denken einschränken ließ wie von den Grenzen der Geographie als Disziplin. Er war ein Universalgelehrter, der die Geographie als Ausgangspunkt nahm, um sie mit literarischen, philosophischen, historischen oder soziologischen Ansätzen zu verbinden und damit ganz neue Denkfiguren zu schaffen. Während meiner Doktorarbeit sagte er mir: „Egal welches geographische Thema Sie tiefgründig behandeln, Sie werden auf jeden Fall außerhalb der Geographie landen.“ Herkömmliche Länder- oder Landschaftskunde waren ihm viel zu langweilig und mit seinen unkonventionellen Ideen hat er den Weg der modernen Geographie maßgeblich bereitet.
Wissenschaft war für ihn die begeisterte Suche nach interessanten Fragestellungen, neuen Theorien und ungewohnten Perspektiven, wobei er allerdings der Meinung war, dass „sich ein intelligenter Mensch für jedes beliebige Thema interessiert, wenn er sich mit ihm nur kurz beschäftigt“. Nach neuen Sichtweisen suchte er nicht nur durch Alltagsbeobachtungen oder das Studium von Schriften, sondern auch durch Gespräche. Gerhard Hard liebte die Diskussion, bei der er seine Gesprächspartner durch konträre Ansichten herausforderte oder mit Ironie und Witz provozierte. Wer sich auf Gespräche mit ihm einließ, lernte nicht nur etwas über die Inhalte, sondern auch über sich selbst, die eigenen Grenzen und Überzeugungen. Seine hervorragend formulierten Artikel und Bücher fordern uns nach wie vor heraus, die Geographie neu zu denken, didaktisch anders zu vermitteln und uns selbst als intelligente Leser auf die Suche zu begeben.
Harter Kritiker und wichtiger Ermutiger
Von Hans-Dietrich Schultz (Berlin)
Was „ist“ Geographie? Ein „Luschenfach“ mit der Beigabe attraktiver Exkursionen, urteilte im Sommersemester 1967 die studentische Studienberatung an der FU Berlin und empfahl es mir deshalb als Zweitfach, das auch gut zu meinem Hauptfach Geschichte passe, während die naturwissenschaftlichen Laborfächer zeitaufwändig seien. Ich griff zu und hatte damit die Weichen gestellt, im Wintersemester 1970/71 Gerhard Hard kennen zu lernen, der eine Lehrstuhlvertretung an der FU hatte und ein Hauptseminar zu „Methodenfragen der Geographie“ anbot. Die Bereitschaft der (nicht sehr vielen) Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Kritik war nicht nur erwünscht, sondern Voraussetzung für das Gelingen des Seminars. Denn Hard liebte den Widerspruch, er suchte ihn geradezu und lief in einem solchen Fall zur Hochform auf, ja sprudelte vor Geist, Witz und Ironie, während seine entschiedenen Gegner, die von Wissenschaftstheorie wenig hielten, seine eleganten Formulierungen als hochgestochene Trivialitäten abtaten. Für sie war Hard ein missionarischer Eiferer, der die Geographie in ihren bisherigen Kernaussagen zu destabilisieren, ja zu zerstören versuchte. Aber gehört nicht Kritik, auch harte, zur Wissenschaft dazu, die nicht durch Speichelleckerei, Intrigenspiel und die Höhe des Drittmittelaufkommens auffallen sollte, sondern durch sachliche Leistung und eine kritische Diskurskultur? Hard selbst gestand ein, dass er bisweilen bewusst überscharf formuliere, um das eigentlich Gemeinte nicht in abwägenden Relativierungen und Vorbehalten verloren gehen zu lassen. Während die Vertreter des herkömmlichen Fachverständnisses die „Was-ist-Geographie-Frage“ für längst endgültig geklärt hielten, nämlich als Universitäts- und Schulfach Länder- und Landschaftskunde zu sein, legte Hard eingehend dar, warum diese Frage prinzipiell keine Antwort haben konnte und die vermeintlichen Kompetenzansprüche der Geographie als raumbezogene Synthesedisziplin und schulisches Zentrierungsfach einer kritischen Analyse bedurften. Für mich war Gerhard Hard, der auch ein wissenschaftshistorisches Interesse hatte, als Lehrstuhlvertreter an der FU Berlin ein glücklicher Zufall. Er hat mich zur Promotion bei K.-A. Boesler an der FU ermutigt, später zur Habilitation bei ihm selbst in Osnabrück bewegt und in meiner beruflichen Laufbahn kritisch begleitet.
Streitbarer Intellektueller und konsequenter Denker
Von Benno Werlen (Jena)
Meine persönlichen Erinnerungen an Gerhard Hard sind von einem ikonischen Erlebnis im Winter 1981 geprägt. Während meiner Assistentenzeit bei Dietrich Bartels in Kiel weilte ich aufgrund einer Vortragseinladung ein paar Tage in Osnabrück. Nachdem Gerhard Hard mir mit einem Augenzwinkern erzählt hatte, dass im Umkreis von 100 km nur wenige Menschen leben würden, sodass er die Ankunft seiner Feinde von weitem sehen könne, bin ich auf eingerahmte Textseiten an der Wand seines Wohnzimmers aufmerksam geworden. Die zur Schau gestellten Auszüge aus einer Qualifikationsarbeit wiesen alle handschriftliche Kommentare von einem Gutachter auf, aber auch seine Stellungnahmen zu diesen. An alle Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern, nur so weit, dass es dabei um Pflanzengeographie ging und er die Einwände mit der Begründung zurückwies, dass die vorgetragenen Argumente nicht stichhaltig wären und der Kenntnisstand des Urteilenden bei Weitem nicht ausreiche, um seinen Text angemessen zu bewerten. Ich war in doppelter Weise verblüfft: Nicht nur von eingerahmten Textseiten als Bildern an der Wohnzimmerwand, sondern auch von der unverblümten und unerschrockenen Direktheit. Wie mir später klar wurde, war diese Haltung für ihn so wichtig, dass er sie in Bildform an zentraler Stelle dokumentiert haben wollte. Sie zog sich wie ein roter Faden durch sein ganzes Werk und Wirken: Ganz im Carnap‘schen Sinne zählte für ihn in der Wissenschaft einzig und allein die logische und empirische Begründbarkeit eines Arguments. Sie allein akzeptierte er als Gütekriterium wissenschaftlicher Forschung und nicht den institutionellen Status der Diskutanten, politische Positionen oder die Reputation eines Forschungsansatzes.
Als ausgebildeter Germanist und Physischer Geograph lag es für ihn nahe, sich mit „Landschaft“ bzw. der Landschaftsgeographie zu beschäftigen. Mit seiner ersten großen Publikation „Die ‚Landschaft‘ der Sprache und die ‚Landschaft‘ der Geographen“ erschütterte er 1970 nicht nur das damalige Selbstverständnis unseres Fachs, sondern etablierte auf höchst produktive Weise eine Forschungsperspektive, die international erst Jahrzehnte später als „linguistic turn“ namhaft wurde. Am anderen Ende seines Wirkens steht die argumentative Auseinandersetzung mit dem „spatial turn“ in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Wer Hards Beschäftigung mit den Grundlagen der Philosophie der Post-Moderne in den frühen achtziger Jahren verfolgte, den überrascht seine Kritik daran nicht. In seiner Rede zur Verleihung des Ehrendoktortitels durch die Friedrich-Schiller-Universität Jena fasste er seine Analyse wie folgt zusammen: Statt der post-modernen Forderung der Verräumlichung von Geschichte zu folgen (und damit in Positionen der traditionellen Geographie zu verfallen), sollte die Geographie den Raum „narrativieren“ und sich kritisch mit gesellschaftlichen wie alt-geographischen Konstruktionen und deren Verwendungen beschäftigen.
Gerhard Hard trat gerne provozierend auf und wirkte gelegentlich wohl auch verletzend. Er suchte dabei aber immer den intellektuellen Streit um die besten Argumente. Es ging ihm nie um institutionelle Vorteile und entsprechende Positionen. Das war – anders als bei vielen seiner Opponenten – gerade nicht seine Welt. Dass er sich über deren Gebaren zuweilen lustig machte, ging den Adressaten seiner Kritik manchmal zu weit. Entscheidend ist jedoch, dass er wesentlich zur Reputation unseres Fachs über dessen Grenzen hinaus beigetragen und viele fachpolitisch riskante Karrieren gefördert hat, unabhängig davon, ob er mit deren theoretischen Perspektiven konform ging oder nicht.
Gerhard Hard war – wie der Rückblick aus unterschiedlichen Perspektiven zeigt – ein vielseitig interessierter, in mancher Hinsicht unbequemer und trotzdem hochgeschätzter Vertreter der Geographie. Er hat sich mit den wissenschaftstheoretischen Grundlagen und den Fachtheorien sowohl der Physischen Geographie als auch der Humangeographie befasst, Fachdidaktik und Fachgeschichte entscheidende Impulse gegeben und darüber hinaus zu Fragen der Sprachwissenschaft, Kunst, Botanik und einer Vielzahl weiterer Felder bedeutende Beiträge geliefert. Damit avancierte er nicht nur zu einem der meistzitierten Fachvertreter, sondern auch zu einem der einflussreichsten Wegbereiter für neue Entwicklungen geographischen Denkens.
Gerhard Hard hat leidenschaftlich diskutiert, hartnäckig nachgefragt und auf der Basis eines immensen Wissens überaus scharfsinnig analysiert. Er nahm Argumente von Studienanfängern genauso ernst wie Einlassungen von erfahrenen Berufskollegen. Derart hat er die akademische Debattenkultur an seinem Institut wie im Fach insgesamt nachhaltig geprägt. Obwohl er innerhalb der Disziplin zu vielem und vielen in Widerspruch geraten ist, hat er der Geographie nie „den Rücken gekehrt“, sondern sie nach außen mit der gleichen Überzeugung vertreten, wie er sie nach innen herausgefordert hat.
Mit großem Dank erinnern wir uns an die gemeinsame Zeit und einen außergewöhnlichen Kollegen.
Im Namen des Instituts für Geographie der Universität Osnabrück
Andreas Pott